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Shut the door! Take a seat.

Der Steuerberaterberuf im Hier und Jetzt – und was in der Kanzlei zu tun ist.

Wer in letzter Zeit tagesaktuelle Medien konsumiert hat, könnte den Eindruck bekommen, dass dem WT-Berufsstand schon der Partezettel nachhängt: Wir würden die Digitalisierung verschlafen (haben) und das jüngst so gehypte statistische Maschinenlernen1 würde uns wohl eher früher als später obsolet machen.

Die zuletzt hinzugekommenen Verpflichtungen aus DSGVO und Geldwäscherichtlinie sind auch nicht gerade dazu geeignet, unter den WTs Optimismus zu schüren.

Es ist leider ein fester Bestandteil der österreichischen Kultur, über aktuelle Zustände zu jammern und die Vergangenheit herbeizusehnen – man hat das Gefühl, dass man gar nicht ernst genommen wird, wenn man nicht in den Chor miteinstimmt. Dabei ist aber gemeinhin bekannt, dass die Vergangenheit unabänderlich ist und die Zukunft nur aus dem „Jetzt“ heraus gestaltet werden kann2.

SAG NICHT „DIGI…“

Zuletzt hat Kollege Reiner (im WT02/2019) das Unwort des Jahres 2019 schon einer treffenden Analyse unterzogen: Nach Abstraktion bleiben die konkret greifbaren Bereiche „Ablauf“ und „Arbeitsweise“. Abläufe im WT-Unternehmen müssen also angepasst und angestammte Verhaltensweisen geändert werden. Ein Change-Management-Projekt zur Auflösung von Schutzbehauptungen wie „Das haben wir schon immer so gemacht“ und „Das haben wir noch nie anders gemacht“ ist geboten. Denn die folgenden Trends sind schon länger sichtbar und eine Einstellung darauf ist meiner Meinung nach unvermeidlich, um am Markt bestehen zu können3.

OUT: MANUELLE DATENERFASSUNG

Was in strukturierter Form4 vorliegt, muss auch so weiterverarbeitet werden. Wenn die Warenwirtschaft (Wa Wi) Ihres Klienten die AR-Daten in strukturierter Form ausgeben kann, dann darf der Buchhalter diese nicht wieder abtippen müssen. Sie haben keine passende Schnittstelle? Dann muss eine entwickelt werden! Regelmäßig brauchen Sie dafür nicht die Dienste Ihres Kanzleisoftwareherstellers in Anspruch nehmen. Denn aufgrund definierter Schnittstellen und des Einsatzes von generischen IT-Strukturen und -Tools können Sie sich dafür an andere IT-Betreuer und Entwickler wenden. Oder Sie investieren in die „IT-Skills“ Ihrer Mitarbeiter: Denn mit einer Tabellenkalkulation Ihrer Wahl lässt sich die Datenausgabe aus der WaWi des Klienten unter Umständen ohne großen Zeitaufwand auf das Importformat Ihrer FiBu hinbiegen.

Dass Sie eine in Ihrer Kanzlei durchgeführte Lohnverrechnung per digitalem Buchungsbeleg in die Kunden-FiBu überleiten und damit neben der gewonnenen Zeitersparnis auch noch menschliches Fehlerkalkül reduzieren, braucht keine weitere Erklärung.

Und schließlich: Sie haben sich noch keinen MBS-Zugang für Ihre Kanzlei besorgt und daher keinen Nur-Lesen-Zugriff auf alle betrieblichen Bankkonten Ihrer FiBu-Klienten? Und Sie können sich daher nicht zu jeder Zeit und über jeden beliebigen Zeitraum Bankbelege nicht nur als Pdf, sondern noch dazu als strukturiertes Format (CAMT) vom Bankrechner holen, ohne den Klienten auch noch Tage nach Fristablauf belästigen zu müssen? Wer einmal gesehen hat, wie schnell und vor allem treffsicher ein Bankkonto damit „verbucht“ ist, wird die alten Zeiten kaum missen: vorbei die Zeitverschwendung aufgrund des Suchens der Differenz zum Endsaldo und das vergebliche Suchen nach einer passenden OP. Es empfiehlt sich, die Führung eines dezidierten Bankkontos für betriebliche Einnahmen und Ausgaben und den Zugriff darauf zur Vorbedingung für das Mandat über eine FiBu zu erheben und auf die alternativ vergleichsweise hohen Kosten einer handgebuchten FiBu hinzuweisen.

STATE OF THE ART BEI DER DIGITALEN BELEGVERARBEITUNG – IT’S THE DATA, STUPID

Eine treffsichere Bankauszugsverbuchung beginnt mit einer möglichst detailreichen „offenen“5 FiBu: Das Programm zur Bankauszugsverbuchung muss nicht durch Methoden des Machine-Learnings mit Positivdaten trainiert werden, um aus detailliert erfassten OPs (und vor allem: Kunden- und Lieferantenstammdaten) beim Buchungsvorschlag 100%ig richtig zu liegen.

Der Wechsel vom braunen auf den schwarzen Gürtel der State- of-the-Art-digitalen FiBu besteht nun darin, den sich aufdrängenden letzten Schritt zu vollziehen: die automatisationsunterstützte Verarbeitung von gescannten Eingangsrechnungen6 (und wenn nicht anderweitig überleitbar auch AR, KA usw.). Auch hierfür gibt es mittlerweile eine Auswahl an Drittanbietern – man ist nicht gezwungen, die Lösung des Kanzleisoftwareherstellers zu kaufen, solange als Ergebnis des individuellen Arbeitsablaufs über die FiBu-Schnittstelle einspielbare FiBu-Daten resultieren. Auch für das Szenario von Klienten, die reine „Barverrechner“ sind, gibt es bereits Lösungen.7

Bei der Anwendung von Methoden des Maschinenlernens auf bestehende digitale Prozesse und Daten werden in naher Zukunft sicher noch genauere Buchungsvorschläge zu erzielen sein: Hervorgehoben sei, dass zum Anlernen neuronaler Netze möglichst viele strukturierte digitale Daten die Voraussetzung sind.8 Kein Zufall also, dass man mit seinen Daten in letzter Zeit so freundlich in die Cloud gebeten wird.

NICHT UM DER EDV WILLEN

Bei aller Hands-on-Mentalität muss Folgendes immer im Blick bleiben: Resultieren aus dem Einsatz eines neuen Softwareprogramms oder neuer Hardware oder einer Kombination derselben zur Änderung von Ablauf- oder Arbeitsweise weder eine messbare Zeiteinsparung in bestehenden Abläufen noch zusätzliche Wertschöpfung, muss neu ausgerichtet werden.

Von vornherein gescheitert sind natürlich Dinge, die gar nicht in Angriff genommen werden. Und selbst wenn der gewünschte Outcome nicht nachgewiesen werden kann, wurde beim Versuch oft zumindest individuell gelernt und eine effizientere Organisationsmöglichkeit erkannt.

Zum Glück ist es heutzutage üblich, IT-Lösungen für eine bestimmte Dauer zu testen – es empfiehlt sich dies über einen möglichst langen Zeitraum zu fahren (und sich die Kosten dafür womöglich vereinbarterweise im Falle eines Kaufs darauf anrechnen zu lassen).

REDUZIEREN VON KOMPLEXITÄT, WO SIE KEINEN NUTZEN BRINGT

Ein eigener Kanzleikontenplan etwa, der von demjenigen abweicht, den der Softwarehersteller von sich aus laufend pflegt, rechtfertigt selten den damit verbundenen Mehraufwand in den Arbeitsabläufen zu FiBu, Auswertung, Bilanz und Steuererklärung.

WAS ZU GEWINNEN IST, ODER: ALLES HÄNGT MIT ALLEM ZUSAMMEN

Eine digitale FiBu mit ebenso archivierten Belegen birgt enormes Zeiteinsparungspotenzial in den nachfolgenden Prozessen der Kanzlei: Automatisationsunterstützte Qualitätskontrolle, sämtliche Auswertungen sowie das Erstellen des Abschlusses und der Steuererklärungen gehen mit einer solchen Datenbasis effizienter von der Hand. Und sämtliche Planung und Beratung beginnt schließlich mit einer qualitätsvollen und möglichst umfangreichen Datenbasis.

FINTECH VERSUS STEUERBERATER? WARUM DER STEUERBERATER BLEIBEN WIRD!

Es spricht auch nichts dagegen, den Klienten auf einem der zahlreichen „Mach-es-Dir-selbst“-Onlineportale Daten (vor-)erfassen zu lassen (und das dort erfasste Journal inkl. der Belege als Basis für Bilanz, Steuererklärung oder Auswertung in das Kanzleisystem überzuleiten).

Spätestens bei Betriebsprüfung oder USO wird der Klient den Wert einer Qualitätskontrolle seiner Daten durch den Steuerberater schätzen lernen. Und schließlich auch dessen umfangreiches Know-how im sich ständig ändernden Steuer-, Verfahrens- und Finanzstrafrecht.

1 Der Begriff der künstlichen Intelligenz soll wegen der fälschlicherweise oft damit assoziierten Fähigkeiten vermieden werden.
2 Reisen in die Zukunft sind nach Ansicht der modernen Physik aufgrund der (nachgewiesenen) Relativität von Objekt und Beobachter zueinander in der Raumzeit zwar vorstellbar. Zeitreisen in die Vergangenheit scheinen aber aufgrund des damit verbundenen extrem hohen Energieaufwandes als sehr unwahrscheinlich. Der vulkanische Wissenschaftsrat hat festgestellt, dass Zeitreisen überhaupt unmöglich sind.
3 Den Umlagemeldungen an die KSW zufolge macht der Berufsstand einen sehr großen Teil seiner Umsätze im Bereich der laufenden Finanzbuchhaltung.
4 Das sind Daten, bei denen auch „der Computer“ (besser: ein durch ein Programm automatisierter Vorgang) erkennen kann „was was ist“: im einfachsten Fall eben eine Kopfzeile mit Datenfeldbezeichnungen und mit jedem folgenden Zeilenvorschub ein neuer Datensatz mit Feldtrennern.
5 Damit ist gemeint, dass unabhängig von der Art der Gewinnermittlung (EAR oder Überschussrechnung oder DoppiK) immer alle ARs und ERs mit Rechnungsdatum gegen ein individuelles Kunden- bzw. Lieferantenkonto erfasst werden, um den Detailgrad der Datenbasis zu steigern.
6 Beim Erkennen der für die FiBu erforderlichen Belegmerkmale (bspw. Bruttobetrag, ext. Rechnungsnummer, USt-Sätze etc.) haben schon mit rein heuristischen Methoden arbeitende OCR-Programme heutzutage Erkennungsraten von über 90 %.
7 Diese funktionieren „hintenrum“ aber meistens mit Schattenkonten für Lieferanten und Kunden und sind somit von der Methode her identisch zur erläuterten vollständigen OP-Erfassung.
8 Überlässt man (etwa konten- oder USt-mäßig) fehlerhafte Daten, wird der Algorithmus diesen Fehler ebenfalls „lernen“; es geht also nicht um die schiere Menge an Daten für das Machine-Learning, sondern auch um deren menschlich geprüfte Richtigkeit (sog. „Labeling“).

Mag. Gernot Ritter, LL. M.
StB, Landespräsident VWT Burgenland

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Ausgabe WT 2019-05/06

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