Sie befinden sich hier:

Hauptinhalt

Zeit zum Nachdenken

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

ich hoffe, es ist sommerlich warm, wenn Sie diese Ausgabe zur Hand nehmen, und Sie können kurz innehalten. Wir Steuerberater und Wirtschaftsprüfer sind weiterhin sehr gut ausgelastet und können aufgrund der unveränderten Situation bei den COVID- 19-Zuschüssen unseren Klienten tatkräftig und sinnvoll helfen. Ende August, wenn die ersten Fristen zur Abgabe der COFAG-Anträge schlagend werden, wird sich unser Stress eventuell wieder zuspitzen, wenn wir zu lange mit den Anträgen zuwarten. Eine zeitgerechte frühe Vorbereitung hilft oft Fehler in der Schlussphase zu vermeiden. 

In einer derartigen Gesamtsituation ist es dann doch immer ein heftiger Schlag, wenn uns ein Freund nach langer schwerer Krankheit verlässt oder ein Kollege plötzlich aus dem Leben scheidet. Diese Vorfälle geben Anlass, innezuhalten und nachzudenken, ob man am richtigen Weg ist und die Situation richtig beurteilt. Jetzt im Sommer können Sie sich eine Pause gönnen und haben vielleicht mehr Möglichkeiten über Ihre aktuelle Situation - sowohl im beruflichen als auch im privaten Bereich - nachzudenken. Oft geht man einfacherweise davon aus, dass alles so bleiben kann, wie es ist und Veränderungen schrittweise kleinteilig eingeleitet werden sollten. Aber vielleicht ist doch mit einem gravierenden Einschnitt das Potenzial zur Veränderung größer. Eine Änderung der Perspektive kann so auch eine neue Einschätzung unserer grundsätzlichen Haltung zu Gesundheit, Stress, Einkommen und Lebensumständen führen. 

Die gleiche Frage stelle ich mir auch, wenn ich Bewerberinnen und Bewerber für ausgeschriebene Stellen in unserer Kanzlei gegenüber sitze und feststellen muss, dass es offensichtlich unter den jungen Menschen eine andere Einschätzung zur Balance of life und unterschiedliche Erwartungen an das Leben gibt. 

Vielleicht sind wir auch alle zu nahe an der Betriebswirtschaft aufgewachsen und sehen eine Profit-Maximierung vorrangig vor einer Work-Life-Balance. Ich fürchte, wir haben als Berufsstand, und da meine ich beide Berufsgruppen Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, ein Wahrnehmungs-Problem bei den jungen Menschen, dass wir sie ausbeuten und ihnen in jungen Jahren zu wenig bieten. Nur so kann ich mir die schwache Nachfrage nach ausgeschriebenen Stellen in unserer Branche erklären und das grundsätzliche Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage in unserem Arbeitsmarkt. Wenn dann ältere Kollegen auch die Seite des Tisches wechseln und zu den von uns beratenen oder geprüften Unternehmen und Organisationen wechseln, dann sind das doch gute Hinweise, dass wir vielleicht doch in unserem Berufsstand eine einseitige Situation haben und die Erwartungshaltung der jungen Generation entweder nicht wahrgenommen oder unter den Teppich gekehrt wird. Im Sommer, in der Urlaubszeit kann jeder von uns vielleicht hier ein wenig nachdenken und seine Einstellung überprüfen oder auch in seiner Planung für die Zukunft seine Überlegungen anpassen. 

Nachdem sich in den letzten 15 Monaten relativ viel geändert hat, die Digitalisierung weiter fortgeschritten ist und das Home- Office in allen Kanzleien angekommen ist, ist der Sommer 2021 vielleicht ein guter Zeitpunkt, abzuschalten und innezuhalten. 

Ich empfehle daher eine Standortbestimmung als Projekt des Sommers 2021, um die Erwartungshaltung der Jugend zu verstehen und eventuell seine Einstellungen nachzujustieren. Denn es werden nur jene Kanzleien den permanenten Wandel gut überstehen, die sich immer wieder anpassen und neue Ideen mitnehmen. Den Kanzleien, die versuchen durchzuhalten und keine Anpassungen vornehmen, werden kurz oder lang sowohl die MitarbeiterInnen davonlaufen als auch am Schluss dann die Klienten. Die Aspekte der Work-Life-Balance und des geringen Interesses an unseren Berufsgruppen werden wir auch in unseren Beratungen zur Strategie 2025/2030 der Kammer miteinfließen lassen. Die Ergebnisse des Kammer-Strategieprozesses werden erst im Herbst sichtbar sein und dann selbstverständlich diskutiert werden. 

Geschätzte Leserinnen und Leser, ich wünsche Ihnen einen schönen Sommer, in dem Sie innehalten können. Kommen Sie gesund, tatkräftig und mit neuen Ideen zurück!

Ihr Philipp Rath

Mag. Philipp Rath
Präsident der VWT

Ausgabe WT 2021-03

Artikel Druckversion

Zurück